Pilze – nicht nur zum Essen geeignet
Wer bei Pilzen nur an Rahmsoße denkt, wird staunen, wozu diese Gewächse fähig sind.
Vegan zu leben ist nicht nur eine Frage der Ernährung. Stoffe tierischen Urspungs können schließlich auch in Kosmetika und Reinigungsmitteln stecken, in Textilien und Bürsten. Und dann gibt es noch die rein tierischen Produkte wie Wachs oder Leder. Wer vegetarisch oder vegan lebt, wird vor allem auf Letzteres verzichten wollen. Allerdings hat Leder viele positive Eigenschaften, auf die ungern verzichtet wird. Es ist sehr widerstandsfähig und hat einen unverwechselbaren Look. Es gibt viele Kunststoff-Imitate, die sich als „veganes Leder“ bezeichnen. Doch Kunststoffe sind weder in der Herstellung, noch in der Entsorgung nachhaltig, weshalb diese Form des veganen Leders alles andere als ideal ist.
„Leder“ und andere Stoffe lassen sich aus Pilzen gewinnen
Wer hätte gedacht, dass Pilze eine alternative Grundlage darstellen können, aus der man ein äußerst brauchbares Leder-Imitat erstellen kann! Das geht zum einen aus dem Pilzkörper selbst, zum anderen aus den Pilzfäden, dem sogenannten Myzel, das unterirdisch wächst. Während die Gewinnung des „falschen“ Leders aus dem Fruchtköper von Pilzen – also dem Teil, den wir oberirdisch sehen – recht schwierig ist und daher nur kleinflächig genutzt wird, können aus den Fäden des Myzels auch große lederähnliche Stücke erzeugt werden. Dafür werden die Pilzfäden in einem kostengünstigen und wenig aufwändigen Prozess gezüchtet und später gepresst.
Chemische Verfahren machen daraus schließlich einen Stoff, der leichter und geschmeidiger ist als herkömmliches Leder, aber genauso strapazierfähig und langlebig. Zudem kann er eingefärbt werden. Im Vergleich mit den Gerbungs- und Färbeprozessen bei echtem Leder ist die Bearbeitung der veganen Pilzalternative weit weniger umweltbelastend. Pilz-Leder kann wie sein tierischer Verwandter zu Kleidungsstücken und Accessoires verarbeitet werden. Und für die Erzeugung müssen nicht nur keine Tiere sterben, sondern auch der Wasserverbrauch für den Pilzstoff ist sehr nachhaltig. Um beispielsweise ein Kilogramm Stoff aus Baumwolle herzustellen, werden 10.000 Liter Wasser benötigt. Beim Stoff aus Myzel sind es gerade einmal 100 Liter, also nur ein Hundertstel des Bedarfs für die Baumwoll-Verarbeitung!
Pilze eignen sich als Grundlage von Verpackungen und sogar als Baumaterial
Doch Lederimitat ist nicht das einzige Material, das sich aus Pilzen bzw. ihrem Myzel gewinnen lässt. Auch Verpackungen können mit Hilfe von Pilzen entstehen. Das Endprodukt ähnelt in Optik und Haptik der Kartonage, die man von Eierschachteln kennt. Das Myzel kann für diese Verpackungen entweder unter Einsatz bestimmter Nährstoffe aufgeschäumt werden oder auch mit anderen Materialien als Verbundwerkstoff gefertigt werden. Neben Karton kann das pilzbasierte Verpackungsmaterial auch Styropor ersetzen. Und da es ähnliche Merkmale wie Styropor aufweist, kommt es auch zur Schall- und Wärmedämmung in Frage.
Einen Schritt weiter gingen Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der ETH Zürich, die aus Myzel sogar Bau-„Steine“ entwickelt haben. In einer Schalung aus Bambus ließen sie ein Gemisch aus Pilzmyzel, Holzspähnen und anderen Stoffen zu einer bestimmten Form anwachsen und schließlich trocknen und so fest werden. Das Wachstum wurde dabei so gestaltet, dass die Tragfähigkeit dieses Gemischs gegenüber dem natürlichen Wachstums-Prozess der Pilzfäden erhöht wurde. So entstand ein leichter, aber halt- und belastbarer Baustoff. Im Gegensatz zum allgegenwärtigen klimaschädlichen Beton ist dieses Baumaterial nahezu CO2-frei herzustellen und ist zudem ökologisch abbaubar.
Die Zukunft des Pilzes als Rohstoff innovativer Produkte hat gerade erst begonnen
Neben all diesen Beispielen, bei denen Pilze als handwerkliche Stoffe einsetzbar gemacht werden, befinden sich Pilze auch in feinstofflicher Form in vielen Produkten. Etwa in der Kosmetik, wo ihnen eine feuchtigkeitsspendende und verjüngende Wirkung nachgesagt wird, bei der Erzeugung von Biokraftstoffen und von Medikamenten sowie als Bestandteil von Waschmitteln. Pilze, die biologisch übrigens weder den Pflanzen noch den Tieren zugeordnet werden, sind wahre Alleskönner mit riesigem nachhaltigem Zukunftspotenzial. Doch sie sind als Stoff oder Baumaterial auch noch nicht so weit ausgereift, dass sie heute schon eine echte Alternative zu etablierten Produkten darstellen. Zahlreiche Forschungsinstitute und private Start-ups sind jedoch dabei, das Potenzial der Pilze zu erforschen und bis zur Marktreife zu entwickeln, so dass Pilz-basierte Erzeugnisse mittelfristig immer mehr Einzug in unseren Alltag halten dürften.