Geiz ist geil – aber nicht für alle
„Machst du mir eine Website für 500 Euro?“ – diesen Satz kennen Selbstständige in der Kreativbranche zur Genüge. Grafiker:innen, Texter:innen, Webdesigner:innen und Fotograf:innen sehen sich täglich mit Billigangeboten konfrontiert. Plattformen versprechen Logos für 5 Euro, Websites zum Schleuderpreis. Das Ergebnis: Preisdumping wird zur Norm – und diejenigen, die davon leben müssen, bleiben auf der Strecke.
Ein System der Selbstausbeutung
Viele Freiberufler:innen arbeiten unter Bedingungen, die längst unzumutbar sind. Wochenenden werden durchgearbeitet, Änderungswünsche häufen sich, am Monatsende reicht es trotzdem kaum für Miete und Lebensmittel. Ein „normales Leben“ mit Rücklagen, Urlaub oder Altersvorsorge? Für viele unrealistisch. Stattdessen: Dauerstress und das Gefühl, den Rechnungen ständig hinterherzurennen.
Die oft vergessenen Nebenkosten
Der weitverbreitete Irrtum: „Die sitzen doch zu Hause am Schreibtisch – das kostet nichts.“ Falsch. Auch Solo-Selbstständige haben hohe Fixkosten: Krankenversicherung (häufig 400–800 € mtl.), Rentenvorsorge, Berufshaftpflicht, Strom, Internet, Software-Abos, Hardware, Steuerberater, Büromaterial. Von 500 € für eine „kleine“ Website bleibt nach Abzügen oft weniger als die Hälfte – bei Arbeitszeiten, die deutlich über 40 Stunden/Woche liegen.
Kalkulationsbeispiel: Was bleibt von 500 €?
Mini-Website mit 18–25 Arbeitsstunden inkl. Briefing, Konzept, Design, Umsetzung, Revisionen. 500 € / 22 Std. ≈ 23 €/Std. brutto Umsatz.
Abzüglich nicht abrechenbarer Zeiten (Akquise, Administration ~30 %), Fixkosten, Steuern und Vorsorge landet man schnell bei < 12 €/Std. effektiv. Das ist kein Entrepreneurship – das ist Selbstausbeutung.

Ursachen: „Geiz ist geil“ und globale Konkurrenz
Der Billigwahn der letzten zwei Jahrzehnte hat auch Kreativbranchen erfasst. Auftraggeber:innen vergleichen Preise wie im Supermarkt und ignorieren den Wert hinter der Leistung: Erfahrung, Konzept, Problemlösung. Hinzu kommt internationale Konkurrenz über Plattformen mit massiv niedrigeren Lebenshaltungskosten – was das hiesige Preisniveau zusätzlich drückt.
Der Teufelskreis der Abhängigkeit
Das perfide Dilemma: Viele wissen, dass schlecht bezahlte Aufträge sie auslaugen – und nehmen sie trotzdem an. Denn wer „Nein“ sagt, riskiert am Monatsende die Miete. „Nein“ erfordert Rücklagen und Mut, beides ist in prekären Phasen Mangelware. Wer zusagt, hält das Dumping am Laufen. Ein Kreislauf, der zermürbt und krank macht.
Zahlen, die weh tun:
- Künstlersozialkasse (KSK): Durchschnittliches Jahreseinkommen selbstständiger Künstler:innen und Publizist:innen 2023: rund 18.000 € brutto (~1.500 €/Monat, vor Abgaben). Davon lassen sich kaum Rücklagen bilden.
- Freischreiber-Honorarberichte: Regelmäßig dokumentiert der Verband freie Journalist:innen-Stundensätze um 22–25 €/Std. brutto und Tagessätze um 200 € – Werte, die nach Abzügen kaum existenzsichernd sind.
- Branchenspreizung: In IT/Consulting sind 80–120 €/Std. marktüblich. Kreative mit klarer Nische und nachweisbarem Mehrwert können dort eher andocken – die breite Masse bleibt jedoch weit darunter.
Freischreiber: Die dokumentierte Realität
Der Verband Freischreiber veröffentlicht jährlich eine Honorarübersicht und sammelt transparente Vergütungsdaten von freien Journalist:innen. Kampagnen wie die +15 %-Forderung zeigen Wirkung – einige Medienhäuser haben Honorare angehoben. Die Botschaft: Transparenz + kollektiver Druck verändern Märkte.
Können kleine Kunden fair bezahlen?
Nicht alle Auftraggeber geizen aus Bosheit. Viele kleine Unternehmen, Vereine, Start-ups arbeiten selbst am Limit. Fairness heißt hier: ehrliche Budgetkommunikation, realistischer Leistungsumfang und pünktliche Zahlung – keine Gratis-Schleifen und keine „Kannst du noch schnell …?“-Fallen. Große Player hingegen könnten fast immer fair zahlen – drücken aber oft systematisch. Wer Budgetstärke hat, trägt Verantwortung.
- Faire Optionen für kleine Budgets
- Scope reduzieren: One-Pager statt Vollseite; Templates statt Custom-Design.
- Ratenzahlung/Vorkasse: Planbarkeit für beide Seiten.
- Mix aus Do-it-yourself + Coaching: Kunde übernimmt Contentpflege; Profi setzt das Fundament.
- Retainer light: 2–4 Std./Monat zur Pflege – klein, aber verlässlich.
Wege aus der Preisdumping-Falle:
- Spezialisierung & Positionierung: Nische, Problemlösung, Branchenfokus – weg vom Bauchladen.
- Wert statt Zeit verkaufen: Nutzenargumentation, Cases, Kennzahlen.
- Kollektive & Standards: Verbände, Netzwerke, Honorarleitfäden (u. a. Freischreiber) als Verhandlungsbasis.
- Preislinien & Nein-Kultur: Mindestpreise, Anzahlung, begrenzte Revisionsrunden; Dumpingaufträge konsequent ablehnen – so weit finanziell möglich.
- Puffer aufbauen: Kurzfristig kleine, verlässliche Retainer – langfristig Rücklagen, um „Nein“ sagen zu können.
Preisdumping ist kein individuelles Versagen, sondern ein strukturelles Problem. Solange „Geiz ist geil“ die Leitwährung bleibt, wird kreative Arbeit entwertet – mit gesellschaftlichen Folgen für Qualität, Vielfalt und Kultur. Ehrliche Budgets, klare Standards und kollektive Haltung sind der Weg raus: Kreativität hat ihren Preis. Wer ihn nicht zahlen will, darf sich über Mittelmaß nicht wundern.
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